Gute Digitale Team- und Projektarbeit (Netzwerktagung 2018)
Thema: Das Netzwerk der Kooperationsstellen Hochschulen und Gewerkschaften in Niedersachsen und Bremen richtet jährlich eine Jahrestagung aus. Dieses Jahr ging es um gute Digitale Team- und Projektarbeit. Die Digitalisierung der Arbeit verändert auch die zunehmend wichtiger werdende Team und Projektarbeit. Mit internetbasierten kollaborativen Anwendungen und mobilen Endgeräten können Teammitglieder von jedem Ort und zu jeder Zeit arbeiten. Dies kann die Selbstorganisation von Teams erhöhen und die Vereinbarkeit von beruflicher und privater Zeit verbessern. Möglich wird aber auch eine steigende Überwachung und die Entgrenzung der Arbeitszeit, mit permanenter Erreichbarkeit und Dauerstress.
Tagung: 13. November 2018 Universität Göttingen
Die Team- und Projektarbeit nimmt stetig zu. Derzeit trägt sie schon ca. 40% zur Bruttowertschöpfung in Deutschland bei. Der Grund sei, dass kreative und innovative Kopfarbeit im wirtschaftlichen Wettbewerb immer wichtiger wird, wie Dr. Frank Mußmann zur Einführung in das Thema ausführte. (Einführung) Doch gleichzeitig nehmen die Arbeitsbelastungen im Projektgeschäft zu, wozu auch die Digitalisierung beiträgt: Ständige Erreichbarkeit, Entgrenzung der Arbeit, erhöhte Transparenz über das Leistungsverhalten und perfektionierte Kontrolle sind einige der Risiken digitaler Team- und Projektarbeit.
Frank Bsirske: Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen
Dass die Herausforderungen der Digitalisierung bei Team- und Projektarbeit gestaltet werden müssen, forderte Frank Bsirske, ver.di Bundesvorsitzender, bei der Jahrestagung des Netzwerkes der Kooperationsstellen Hochschulen und Gewerkschaften in Göttingen. Die Digitalisierung böte ein gewaltiges „Inventar des Möglichen“ mit großen Chancen aber auch Risiken. Die Aufgabe laute, die Informationstechnologien und ihre gewaltigen Produktivitätspotenziale für den demokratischen und sozialen Fortschritt nutzbar zu machen. Diese Gestaltung müsse sich an den Werten Würde, Selbstbestimmung, Solidarität und Gute Arbeit orientieren. Damit formulierte er den Auftrag für die Tagung die Gestaltungsanforderungen in den Unternehmen zu konkretisieren.
Collaboration – in kleineren Unternehmen erst schwach verbreitet
Aus dem Projekt Collaboteam, berichtete Dr. Gerd Paul (SOFI) über die Verbreitung kollaborativer Anwendungen bei Klein- und Mittelunternehmen. Weitreichende Lösungen wie Social Enterprise Plattformen oder WIKI-Systeme zum Wissensaustausch würden nur von wenigen eingesetzt, aber unternehmensweit geteilte Kalender, Groupware oder Messenger-Systeme seien stark verbreitet. Dabei überwiegen nach Einschätzung der Unternehmen die Vorteile der internetbasierten Anwendungen. Problematisch sei der geringe Grad der Beteiligung der Beschäftigten an der Einführung neuer Anwendungen und die Zurückhaltung der Unternehmen bei der Gestaltung: Relativ wenig Unternehmen begleiten die Umsetzung mit Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung. Mehr als die Hälfte der Unternehmen sehen keinen Regelungsbedarf bei Fragen der Arbeitszeit, Qualifizierung oder Mitbestimmung, obwohl die neuen Tools eine zeit- und ortsunabhängige Form der Zusammenarbeit ermöglichen und damit einen Kulturwandel im Unternehmen anstoßen.
Kollaborative Anwendungen stellen Herausforderungen an die Gestaltung
Sein Kollege von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften, Dr. Thomas Hardwig ergänzte, dass die Auswirkungen der Einführung von kollaborativen Anwendungen in den Betrieben unterschätzt würde. An Beispielen zeigte er, dass es sich nicht bloß um die Einführung einer neuen Technik handelt, sondern ihre Nutzung eine weitreichende Veränderung des jeweiligen Arbeitssystems anstoße. Herausforderung stelle die Einbindung in die Unternehmensorganisation und die Regelung der Auswirkungen auf Arbeitszeit und Arbeitsort, Zugriff auf Daten usw. dar. Und schlussendlich erfordere das kollaborative Arbeiten auch eine Veränderung der Unternehmenskultur. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten weitreichende Freiheiten bekommen, um selbst über Arbeitszeit und Arbeitsort entscheiden zu können und sich als Team zu organisieren. Sie müssten anders geführt und an Unternehmensprozessen stärker beteiligt werden. Auch wenn es in kleineren Unternehmen zumeist keinen Betriebsrat gebe, müssten Unternehmen die Interessen der Beschäftigten ernsthaft berücksichtigen, um die Potenziale der neuen Form der Zusammenarbeit erschließen zu können.
Mobile Formen der Zusammenarbeit – in Großbetrieben zunehmend normal
In großen Unternehmen greift zumeist die betriebliche Mitbestimmung. Als Fallbeispiel für Regelungen zur mobilen Arbeit, wie das ort- und zeitungebundene Arbeiten, genannt wird, präsentierte sich die Telekom Deutschland GmbH. Karl-Heinz Brandl (ver.di) stellt zunächst den seit 1998 existierenden Tarifvertrag Telearbeit vor, der seit 2016 auch Mobile Arbeit regelt. Er setzt einen verbindlichen Rahmen für die betriebliche Ausgestaltung wie bei der Telekom. Jan Öhlmann Betriebsrat aus dem Bereich Privatkundengeschäft der Deutschen Telekom stellte dann ausführlich die dortigen Regelungen vor. Sie ermöglichen, dass die Beschäftigte zu selbst gewählten Zeitpunkten an selbst gewählten Orten arbeiten können, wobei sie ihre mobil geleistete Arbeitszeit selbst und vollständig erfassen. Öhlmann zeigte die Schwierigkeiten auf, zu klaren Regeln zu kommen und machte sehr deutlich, dass es einer Vertrauenskultur bedarf. Deutlich wurde aber auch, dass bislang keineswegs das ganze Unternehmen in die moderne Welt des Mobile working gewechselt ist. Noch existieren zwei verschiedene Arbeitswelten im Unternehmen. So ist es auch bei der Robert Bosch GmbH, denn für die Produktionsbereiche gelten die dort vereinbarten Regelungen zur Mobilen Arbeit bislang nicht. Dr. Constanze Kurz, Referentin des GBR/KBR machte deutlich, dass der Betriebsrat die Regelungen zur Mobilen Arbeit durchgesetzt habe, um die Bedürfnisse der Beschäftigten nach flexibler Arbeitszeit zur Geltung zu bringen. Heute arbeiten etwa 50% mobil. In der Diskussion gab es viele Nachfragen zu konkreten Regelungsthemen und es wurde deutlich, dass es in Unternehmen aus Südniedersachsen noch erheblichen Handlungsbedarf gibt. Ein Betriebsrat führte die Service-Arbeit als Beispiel an.
Die Gestaltung und Regelung digitaler Team- und Projektarbeit fordert alle betrieblichen Akteure heraus
Regelungsbedarf und Ansatzpunkte für betriebliche Regelungen ergeben sich nicht nur aufgrund der neuen Flexibilität der Arbeit, sondern auch wegen des Trends zu agilen Arbeitsformen. Dies arbeitete der Arbeitsrechtler, Prof. Dr. Rüdiger Krause von der Universität Göttingen heraus. Die Einführung agiler Arbeitsformen kann zu so bedeutsamen Veränderungen der Arbeitsmethodik und Arbeitsorganisation führen, dass Betriebsräten oder Personalräten Informations- und Beteiligungsrechte sowie harte Mitbestimmungsrechte zufallen.
Aber es ist keineswegs alles neu bei der Gestaltung der digitalen Team- und Projektarbeit. So wurde bei der Präsentation der Betriebsvereinbarungen aus den Großbetrieben bereits darauf hingewiesen, dass auf langjährige bestehenden Regelungen zur Arbeitszeit oder Telearbeit aufgebaut worden sei. Auch Dr. Martin Kuhlmann vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen erwartet keinen grundlegenden Wechsel in der Arbeitspolitik, sondern eine Neubetrachtung der traditionellen Themen (Arbeitszeit, Qualifizierung, Arbeitsqualität usw.) unter dem Aspekt der Digitalisierung. Das Problem bestehe jedoch darin, dass alle betrieblichen Akteure (u.a. System- und Prozessgestalter, Personalmanagement, Betriebsräte) mit dem langsamen aber zunehmenden Prozess der Digitalisierung und ihren komplexen Auswirkungen überfordert seien. Die betriebliche Interessenvertretung müsse zugleich sowohl neue Formen der Zusammenarbeit mit der Belegschaft, als auch mit der Unternehmensleitung entwickeln. Sie müssten lernen, die Beschäftigteninteressen konsequent einzufordern und gleichzeitig kooperative Lösungen einzugehen („Boxing und Dancing“). Also auch wenn Digitalisierung sich eher als evolutionärer Prozess darstellt, erfordere seine Gestaltung erhebliche Veränderungen im Betrieb und in der betrieblichen Mitbestimmungspraxis.
Verbundprojekt CollaboTeam bietet eine Vertiefung des Themas
Prof. Dr. Margarete Boos von der Universität Göttingenfasste die Ergebnisse pointiert zusammen und machte deutlich, dass zu den verschiedenen Handlungsfeldern sowohl Praxisbeispiele als auch Handlungsmöglichkeiten vorliegen. Es gebe also durchaus Chancen sich aus dem von Frank Bsirske angesprochenen „Inventar des Möglichen“ zu bedienen und die Digitalisierung mit guten Beispielen für eine Verbesserung der Team- und Projektarbeit zu nutzen.
Das Projekt CollaboTeam wird in weiteren Dialogveranstaltungen die Möglichkeit für eine weitere Vertiefung des Themas anbieten.
Programm
10:00 Uhr | Begrüßung |
10:15 Uhr | Keynote: Chancen und Herausforderungen digitaler und projektförmiger Arbeitsformen |
Nachfragen, Diskussion | |
11:15 Uhr | Kaffeepause |
11:30 Uhr | CollaboTeam: Welche Erfahrungen machen mittelständische Unternehmen mit kollaborativen Anwendungen? |
CollaboTeam: Kollaborative Team- und Projektarbeit - Herausforderungen ihrer Gestaltung | |
Nachfragen, Diskussion | |
12:30 Uhr | Mittagspause |
13:30 Uhr | Best-Practice: Gute Regelungen zum mobilen Arbeiten bei der Deutschen Telekom AG |
Best-Practice: Mehr Souveränität über die Arbeitszeit - Gestaltungsmöglichkeiten mobiler Arbeit | |
Nachfragen, Diskussion | |
14:45 Uhr | Kaffeepause |
15:00 Uhr | Arbeitsrechtliche Regulierung von agiler Arbeit - Regelungsbestand und Regelungsbedarfe |
Neue Formen von Projektarbeit und Kollaboration als Beschleuniger veränderter betrieblicher Arbeitsbeziehungen? Arbeitserfahrungen und Gestaltungsbedarfe | |
Nachfragen, Diskussion | |
16:15 Uhr | Lessons learned und Ausblick |
17:00 Uhr | Ende der Tagung |