Arbeitszeit und Arbeitsbelastung sächsischer Lehrkräfte 2022

Thema: Die Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen führte Mitte des Jahres 2022 gemeinsam mit dem Umfragezentrum Bonn (uzbonn GmbH) eine Studie zur Ermittlung der Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Sachsen durch.

Ziel: Untersuchung der Arbeitssituation von Lehrkräften in Sachsen. Identifikation von Schwerpunkten der aktuellen Herausforderungen, vor denen Lehrkräfte in Sachsen stehen. Aufklärung der Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen nach Schulformen und Lehrkraftgruppen, außerdem Identifikation dringender Handlungsbedarfe im arbeitspolitischen Bereich. Wie ist der aktuelle Stand der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Sachsen? Mit welchen durchschnittlichen Arbeitszeiten bewältigen Lehrkräfte ihren Berufsalltag, wo liegen Hotspots? Mit welchen (neuen) Anforderungen sind sächsische Lehrkräfte konfrontiert und wie schätzen sie ihre individuellen und schulspezifischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewältigung aktueller Herausforderungen ein? Welche Chancen und Risiken kommen auf sie im Zuge zunehmend virtualisierter und digitalisierter Arbeitsformen und Unterrichtsformate zu?

Aktuelle Projektphase: Die Feldphase startete am 27. Juni und endete am 29. Juli 2022. Eine Vorstellung erster Befunde mit dem Fokus auf die Arbeitszeit der Lehrkräfte und Schulleitungen erfolgte am 5. Oktober 2022 in der Landes-Pressekonferenz in Dresden, außerdem hier auf der Seite. Die Ergebnisse und der wissenschaftliche Abschlussbericht wurden am 26. September 2023 in Dresden ebenfalls in der LPK der Öffentlichkeit vorgestellt. Alle Befunde sind Open Source verfügbar. Das Forschungsprojekt ist damit abgeschlossen. Im Downloadbereich können Sie den Abschlussbericht herunterladen.

Materialien zum Download:


Weitergehende Informationen: Projektseite mit vertiefenden Informationen für Teilnehmende und methodisch Interessierte

 

Die Corona-Pandemie und die dadurch forcierte Digitalisierung des Schulsystems in den zurückliegenden zwei Jahren haben die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften einmal mehr in den Fokus gerückt. Neue Herausforderungen mussten kurzfristig im Sinne der Aufrechterhaltung des Bildungsauftrages angegangen und ad hoc Lösungen gefunden werden. Angesichts teils defizitärer Rahmenbedingungen wurden diese Anforderungen in bemerkenswerter Weise gemeistert.
Schaut man auf die individuellen Arbeitszeitbilanzen der Lehrkräfte und die Arbeitszeitordnungen der Länder haben Corona und Digitalisierung die seit mehr als fünfzig Jahren substantiell kaum veränderten Arbeitsbedingungen nun wie in einem Brennglas scharf gezeichnet und angesichts großer gesellschaftlicher Veränderungen in den letzten Jahrzehnten den damit einhergehenden Reformbedarf in vielerlei Hinsicht offengelegt. Dies gilt im gesamten deutschsprachigen Raum, in allen Bundesländern und auch im Bundesland Sachsen.

Eine Sonderauswertung der im Rahmen der Digitalisierungsstudie 2021 erhobenen Arbeitsbedingungen in Sachsen ergab zwei Schwerpunkte: Digitalisierung und Arbeitszeit. Anfang 2021 lag Sachsen mit einer geringen Dynamik von 2020 auf 2021 bei der Digitalisierung im Schulsystem im bundesweiten Vergleich zurück. Gymnasial-Lehrkräfte in Sachsen arbeiteten Anfang 2021 länger als im Bundesdurchschnitt (plus 00:37 Std./Wo), welches sich insbesondere im Bereich „Weitere Tätigkeiten“ (ugs. „außerunterrichtliche Tätigkeiten“) zeigte (plus 01:24 Std./Wo).

Dr. Frank Mußmann und Dr. Thomas Hardwig von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen (Sozialwissenschaftliche Fakultät) stellten am Mittwoch, den 5. Oktober 2022 in der Landes-Pressekonferenz in Dresden erste Befunde des Forschungsprojekts Arbeitszeit und Arbeitsbelastung sächsischer Lehrkräfte 2022 mit einem Fokus auf Arbeitszeitbefunde vor.

Forschungsprojekt und Feldzugang wurden gefördert durch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Sachsen. Während der Erhebungsphase vom 27. Juni bis 29. Juli 2022 haben 1.473 Lehrerinnen und Lehrer von 300 sächsischen Schulen mithilfe eines Onlinefragebogens (35/45 Min., zugangskontrolliert, randomisiert) und eines erprobten Tools ihre Arbeitszeit geschätzt und umfassend Auskunft über ihre Arbeitssituation und ihre Arbeitsbelastung gegeben. Die Studie wurde mit Lehrkräften an Grundschulen, Gymnasien und Oberschulen (alle Formen) in öffentlicher Trägerschaft in Sachsen durchgeführt. Die Qualität des Feldzugangs, aber auch die erreichte Beteiligungsquote von 6% der Lehrkräfte in Sachsen an 26% der sächsischen Schulen ermöglichen repräsentative Befunde. Die Stichprobe ist ausgewogen hinsichtlich der Merkmale Schulform, Geschlecht,Vertragsstatus und hat eine gute geographische Verteilung im Bundesland Sachsen. Bei der Interpretation zu berücksichtigen ist das strukturell etwas jüngere Sample als die Grundgesamtheit. Lehrkräfte aus Schulen aller sächsischen Landkreise nahmen an der Studie teil.

Ziel der Studie Arbeitszeit und Arbeitsbelastung sächsischer Lehrkräfte 2022 ist es, die konkreten aktuellen Herausforderungen für Lehrkräfte in Sachsen und die Auswirkungen auf ihre Arbeitsbedingungen mit einer eigenständigen empirischen Studie in den Blick zu nehmen: Wie ist der aktuelle Stand der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Sachsen? Im Zentrum der empirischen Erhebung steht eine Bestandsaufnahme der individuellen tatsächlichen Arbeitszeiten im Schuljahr 2021/2022, gruppenspezifische Differenzierungen (Geschlecht, Teilzeitquote, Alter, IST-SOLL-Differenzen etc.) sowie die Struktur der wichtigsten Tätigkeiten.

Den aktuellen Debatten um Arbeitszeit und Arbeitsbelastung sowie damit zusammenhängenden Themen rund um Nachwuchsmangel, Digitalisierung etc. soll so eine evidenzbasierte Grundlage gegeben und sie so näher an die Schulwirklichkeit in Sachsen herangeführt werden. Durch aktuelle sachsenspezifische Befunde soll die Möglichkeit eröffnet werden, die Arbeitsbedingungen aus Sicht der unmittelbar betroffenen Lehrkräfte in den Blick zu nehmen und relevante arbeitspolitische Fragestellungen herauszuarbeiten. Was genau sind die Quellen der Arbeits(zeit)belastung in Sachsen? Wo besteht Regulierungsbedarf?

 

Was genau sind die Quellen der Arbeits(zeit)belastung in Sachsen?

 

Im Schwerpunkt Arbeitszeit Sachsen 2022 wurden die Arbeitsbedingungen für die drei Schulformen Grundschule, Gymnasium und Oberschule erhoben. Die Gesamtarbeitszeit (IST) für die drei Schulformen betrug auf Grundlage der Schätzergebnisse im Jahr 2022 insgesamt 49:58 (Std./Wo). Die Normarbeitszeit (SOLL von 46:48 Std./Wo.) wurde aggregiert somit um geschätzte 03:10 Std./Wo je Vollzeitlehreräquivalent (VZLÄ) überschritten. Bei den teilnehmenden Gymnasial-Lehrkräften ist sogar eine Überschreitung der Normarbeitszeit (SOLL) um 04:18 (Std./Wo) zu diagnostizieren. In den Oberschulen und Grundschulen existiert eine durchschnittliche Überschreitung der Normarbeitszeit von 02:16 Std./Wo. Die Quellen für längere Arbeitszeiten sind wie bereits 2021 vor allem in den „Weiteren Tätigkeiten“ zu suchen.

Eine Mehrheit der Lehrkräfte an den untersuchten sächsischen Schulen leistet regelmäßig Mehrarbeit. 59% der teilnehmenden Lehrkräfte liegen mit ihrer tatsächlichen Arbeitszeit (geschätzt) über ihrem ebenfalls erhobenen individuellen SOLL von 46:48 Stunden. Bei Betrachtung der einzelnen Schulformen liegen die Mehrarbeitsanteile beim Gymnasium bei 63%, bei der Oberschule bei 55% und bei der Grundschule bei 57%.

Arbeitswissenschaftlich besonders problematisch sind überlange Arbeitszeiten, die immerhin ein Drittel der Vollzeitkräfte in Sachsen betreffen. Während der Schulwochen arbeiten 36% der Vollzeitkräfte durchschnittlich mehr als 48 Std./Wo. und verstoßen damit gegen geltende Arbeitszeitschutznormen. In den Gymnasien betrifft dies 36%, in den Oberschulen 31% und in den Grundschulen 39% der Vollzeitkräfte und selbst einzelne Teilzeitkräfte übertreffen noch die Arbeitsschutznorm von 48 Std./Wo. –  Mehrarbeit und überlange Arbeitszeiten erhöhen nicht zuletzt die Gesundheitsrisiken. Zum Beispiel tragen Lehrkräfte mit (starker) Überschreitung ihrer SOLL-Vorgaben auch nach dem Copenhagen Burnout Inventory (CBI) höhere Gesundheitsrisiken.

Zur weiteren Aufklärung der Quellen der Mehrarbeit trägt ein Blick auf ihre Verteilung bei: Lehrkräfte, die viel Zeit für „weitere Tätigkeiten“ aufwenden, leisten auch viel Mehrarbeit. Und als bedeutender Teil der „weiteren Tätigkeiten“ tragen wiederum „neue und zusätzliche Aufgaben“ ursächlich zur Mehrarbeit bei. Die zentrale Bedeutung und konkrete quantitative Ausprägung dieser „neuen und zusätzlichen Aufgaben“ wurden mit der Studie in Sachsen erstmalig empirisch aufgeklärt.

Schon länger dokumentiert eine Auswertung historischer Arbeitszeitstudien einen deutlichen Wandel des Arbeitsalltags von Lehrkräften und Schulleitungen (Hardwig, Mußmann 2018). Der Anteil des Unterrichtens sinkt für alle drei Schulformen seit den 60er Jahren von ca. 45% auf heute ca. 35%. „Weitere Tätigkeiten“ hingegen verdoppeln ihren Anteil. Die unterrichtsnahe Lehrarbeit gerät dabei unter Druck. Die Auswertung der sächsischen Daten von 2022 deckt nun den bedeutenden Anteil der „neuen und zusätzlichen Aufgaben“ daran auf. Der Arbeitsalltag von Lehrkräften wird immer weniger durch das Unterrichten bestimmt, die anderen Aufgaben und Tätigkeiten (ugs. „außerunterrichtliche Tätigkeiten“) nehmen demgegenüber immer mehr Raum ein. In Sachsen machen „neue und zusätzliche Aufgaben“ inzwischen 10:50 Std. pro Woche oder 23% einer durchschnittlichen Schulzeitwoche (VZLÄ) aus.

Zum Thema „neue und zusätzliche Aufgaben“ wurden in der Studie 20 Tätigkeitscluster eingehender erfragt, 16 in der Rolle von Lehrkräften und vier in einer übertragenen Zuständigkeit oder als Schulleitung (zusätzliche Funktionstätigkeiten und Schulleitungsaufgaben). Die meiste Zeit in einer repräsentativen Durchschnittswoche von Lehrkräften und Schulleitungen nehmen die Tätigkeitscluster „Nachrichten aus dem Schulportal (Lernsax)“, die „digitale Unterrichtsgestaltung“, „Organisations- und Kommunikationsaufwand im Fernunterricht“, „Inklusion, Multiprofessionelle Teams, Ganztag“, „Hygiene-Aufgaben im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie“, „Lernstands-Dokumentationen“, „neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit“, „Vergleichsarbeiten – Evaluationen – Wettbewerbe“, „neue Aufgaben in Eigenverantwortung der Schule“ sowie „ungleiche Kompetenzen und Ausstattungen der Schülerinnen und Schüler bei digitalen Medien und Techniken“ ein.

Die rein zeitliche Belastung ist das eine, aber die Belastungswirkung der „neuen und zusätzlichen Aufgaben“ ist das andere. Dies muss dringend neu geregelt werden, da viele dieser neuen Aufgaben und Tätigkeiten zum Teil hoch belastend sind. Deshalb wurde vertiefend untersucht: Welche besonderen Beanspruchungen entstehen aus zusätzlichen Aufgaben? Inwiefern können Lehrkräfte individuell auf (neue) Belastungen reagieren? Inwiefern können Lehrkräfte ihr Arbeitsvolumen regulieren? Kennen Sie Arbeitszeitregelungen und Maßnahmen zur schulischen Feinsteuerung? Werden (zusätzliche) Aufgaben fair und transparent verteilt?

Für lediglich 26% der befragten Lehrkräfte in Sachsen hält sich das Ausmaß der fokussierten zusätzlichen außerunterrichtlichen Verpflichtungen in ihrem Arbeitsalltag noch im Rahmen. Aber für relevante 30% sprengt das Ausmaß der Verpflichtungen diesen Rahmen bereits und für weitere 44% wird der Rahmen teilweise (z. B. in Stressphasen) überschritten. Es ist durchaus davon auszugehen, dass eine solche Befundlage schon längere Zeit besteht. Lehrkräfte fühlen sich (eher) stark beansprucht, dass sie durch außerunterrichtliche Verpflichtungen allgemein zu wenig Zeit für Vor- und Nachbereitungen haben (75%), sie als Konsequenz gezwungen sind, ihre Unterrichtsvor- und -nachbereitung zu reduzieren (69%) sowie dass sie sich eingestehen müssen, dass sogar die Qualität ihres Unterrichts unter diesen Anforderungen leidet (60%).

Vier Fünftel der befragten Lehrkräfte gaben ebenfalls an, dass es sie stark belastet, dass ihr Privatleben unter dem Erledigen sonstiger schulischer Aufgaben leidet (79%). In ähnlicher Größenordnung erwägen sie früher in den Ruhestand zu gehen (78%) und viele haben bereits ihre Stunden / Deputate reduziert (44%), was wiederum viele Lehrkräfte (eher) stark belastet (46%/29%).

 

Welche individuellen Handlungs- und Steuerungsoptionen haben Lehrkräfte im Falle von Arbeitszeitüberschreitungen oder hohen Beanspruchungen?

 

Zunächst einmal fühlen sich viele Lehrkräfte allgemein nicht ausreichend über geltende bzw. praktizierte Arbeitszeitregelungen informiert und es fehlt ihnen an Transparenz über ihre eigene Arbeitszeit(-verpflichtung). So weiß zum Beispiel nur ein Fünftel der Lehrkräfte (18%) bei Übernahme einer (neuen) Aufgabe darüber Bescheid, ob überhaupt und wenn ja, welche Entlastung damit einhergeht. Genauso wenig transparent scheint die schulische Feinsteuerung individueller Arbeitszeiten zu sein, wenn nur ein Drittel der Lehrkräfte angibt, über ihre individuellen schulischen Bilanzen (Mehrarbeit oder Minusstunden) Bescheid zu wissen.

Hinzu kommt eine skeptische Fairnessbeurteilung bezüglich der schulinternen Aufgabensteuerung. Nur zwischen 9% und 33% der Lehrkräfte haben den Eindruck, dass die Verteilung von Aufgaben und dazugehörige Entlastungen an ihrer Schule fair geregelt sind. Anders herum beklagen an Oberschulen und Gymnasien 31% bis 39% eine mangelnde Fairness – was nicht zuletzt auf die monierte mangelnde Transparenz zurückzuführen sein dürfte. Die Fairnessbeurteilung an den Grundschulen ist entspannter und unterscheidet sich signifikant von den anderen beiden Schulformen.

Ganz offensichtlich führt der Zusammenhang aus aktuell hohen Beanspruchungen, wenig (Arbeitszeit-)Transparenz und wenig individuellen Regulationsmöglichkeiten zu drei vorherrschenden Lösungswegen:

Langfristig erwägen 53% der Lehrkräfte früher in den Ruhestand zu gehen. In den Altersgruppen ab 50 Jahren sind diese Überlegungen weit verbreitet. Jedoch auch bei den jüngeren Lehrkräften ist erkennbar, dass sich diese vor dem Hintergrund beruflicher Belastungen bereits mit Ruhestandsfragen beschäftigt haben.

In der Vergangenheit haben 44% der befragten Lehrkräfte ihre Stunden bereits einmal reduziert. Mittelfristig erwägen nun zwischen 14% und 18% der befragten Lehrkräfte ihr Deputat in Zukunft weiter zu reduzieren, nur wenige erwägen es zu erhöhen. Im Saldo stünde dem Land Sachsen insbesondere in Grundschulen (16%) und Gymnasien (14%) ein deutlich geringeres Arbeitsvolumen zur Verfügung, wenn diese privaten Erwägungen tatsächlich eins zu eins realisiert würden.

Zur individuellen Regulation ihrer Arbeitszeit bleibt vielen Lehrkräften kurzfristig nur die Wahl zwischen einer Verlängerung ihrer Arbeitszeit (Mehrarbeit) oder Kürzungen bei den Aufgaben der unterrichtsnahen Lehrarbeit zu Lasten der Qualität der Arbeitsausführung – oder einer Mischung aus beidem (Deckeneffekt).

 

Wo besteht Regulierungsbedarf?

 

Lehrkräfte und Schulleitungen können aufgrund der Vielfalt zusätzlicher Aufgaben ihre Arbeitszeit kaum mehr eigenständig regeln. Viele verweisen auf Konflikte zwischen Beruf und Privatleben, auf Entgrenzungserfahrungen und haben insgesamt Probleme, in ihrem Arbeitsalltag die gewünschte und geforderte Bildungsqualität aufrechtzuerhalten. Konsequenzen daraus sind neben Gesundheitsgefährdungen und Burnoutrisiken, vielfach ein individueller Rückzug durch Stundenreduzierung, individuelle Priorisierungen von Aufgaben unter Zeit- und Sachzwängen und damit einhergehend eine individuelle Relativierung von Qualitätsstandards. Außerdem müssen Tendenzen zum vorzeitigen Ruhestand, eine mangelnde Attraktivität des Lehrberufs und der daraus entstehende Lehrkräftemangel konstatiert werden. Dem Land Sachsen droht dadurch immer weniger Kapazität zur Verfügung zu stehen.

Die Auswertungen der Studie legen folgende Regulierungsbedarfe offen:

  • Reform des Deputatsmodells und der Arbeitszeitverordnung (SächsAZVO – insbesondere Stundenvorgaben, Entlastungstatbestände, systematische Beurteilung außerunterrichtlicher Aufgaben)
  • Entlastung von Lehrkräften und Schulleitungen, z.B. durch Deputatsreduktion, Abgeben von Aufgaben an andere Berufsgruppen, Wegfall von Aufgaben (Bürokratie, Dokumentation etc.)
  • Verständigung darüber wie Aufgaben im Sinne einer hohen Bildungsqualität priorisiert werden können
  • Mehr Information und Transparenz bzgl. der Anwendung von Arbeitszeitregelungen und dem individuellen Stand von Plus-/Minusstunden in jeder Schule
  • Mehr Transparenz und Fairness bei der Verteilung von Aufgaben
  • Zielgerichtete Entlastung hochbelasteter Lehrkräfte
  • Angepasste Regelungen zur Integration älterer Lehrkräfte (Altersermäßigung)
  • Erhöhung der Attraktivität des Berufes – auch zur Nachwuchssicherung.

 

Wissenschaftlicher Abschlussbericht 2023

 

Nach der Präsentation erster Ergebnisse im Schwerpunkt Arbeitszeit Sachsen 2022 begann die Analyse weiterer Beanspruchungen und Herausforderungen. Im Gesamtbericht vom September 2023 werden die bereits berichteten umfangreichen Auswertungen der Daten zum Umfang und zur individuellen Streuung der Arbeitszeit, zur Mehrarbeit und zur Verteilung der Tätigkeiten abgebildet, als auch die qualitativen Belastungen (z. B. schulspezifische Belastungen, digitaler Stress) und die Fort- und Weiterbildung. Alle Belastungsfaktoren wurden unter dem Aspekt von Arbeitszufriedenheit und Gesundheit analysiert. Zusammenhangsanalysen zeigen Unterschiede in der Arbeitssituation von Teilzeitkräften, Lehrkräften mit Sorgearbeit u. a.

Ein Schwerpunkt bildet die Erhebung zum Stand der Umsetzung des digital unterstützten Lehrens und Lernens. Sie ergibt, dass Sachsen gegenüber dem Bundesgebiet im Jahr 2022 zurückliegt und die Erwartungen der Lehrkräfte nicht erfüllt werden. Vielmehr wird von vielen Hindernissen berichtet. Besonders problematisch erscheint, dass eine große digitale Kluft zwischen den sächsischen Schulen im Sample besteht. Während die Mehrheit der Grundschulen eine mittlere digitale Reife aufweist, gehören 66% der Oberschulen/Gymnasien im Sample zu digitalen Nachzügler-Schulen. Dies bedingt sehr unterschiedliche berufliche Entwicklungschancen und eine systematische Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern. Insgesamt ist die Digitalisierung in Sachsen mit erhöhten Belastungen für Lehrkräfte verbunden..

Die Studie folgert, dass vier zentrale Ansatzpunkte bestehen, um die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften zu verbessern.

  1. Die Regelungen zur Aufgabenverteilung und zur Arbeitszeit in Sachsen müssen angepasst werden
  2. Die partizipative Entwicklung von Schulstrategien zur Umsetzung des digital unterstützten Lehrens und Lernens ist flächendeckend geboten
  3. Nicht nur aus Gleichbehandlungsgründen sollten Maßnahmen gegen die strukturelle Ungleichbehandlung von Lehrkräften in Sachsen und Maßnahmen gegen die digitale Kluft ergriffen werden
  4. Mittel sollten bereitgestellt werden, um eine situationsangemessene Belastungsregulation auf der Schulebene leisten zu können

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