Kollaboratives Arbeiten und Agiles Management – ein Rückblick auf die Tagung 2018
Thema: Agiles Arbeiten erfordert Arbeitsgestaltung
Tagung: 14. März 2018 Universität Göttingen
Am 14. März 2018 fand die mittlerweile 6. Fachtagung Herausforderungen räumlich verteilter Zusammenarbeit meistern in Göttingen statt. Das Schwerpunktthema Kollaboratives Arbeiten und Agiles Management lockte Besucher aus Wissenschaft und Praxis. In seiner Ansprache lud der Gastgeber Dr. Frank Mußmann (Leitung Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften)die Anwesenden zum gemeinsamen Austausch über die Potentiale von agilem Management und die notwendigen Rahmenbedingungen für agile Teamarbeit ein. Dabei wies er darauf hin, dass „Agilität“ aktuell durchaus Züge eines Hypes aufweise, sodass ein kritischer Blick auf die Thematik und die möglichen Einsatzgebiete agiler Methoden angezeigt sei. Referentinnen und Referenten von Unternehmen und Gewerkschaften trugen in den zwei Slots der Tagung „Agile Unternehmensführung und agile Transformation“ und „Agiles Projektmanagement und agile Teams“ zur Diskussion bei und stellten sich den Fragen und Beiträgen eines interessierten Plenums. Die grundlegenden Werte und Prinzipien agilen Arbeitens stellte Keynote-Speaker Dr. Friedbert Follert (Follert Consulting GbR) vor. Hierzu zählen die „Bereitstellung eines unterstützenden Umfeldes“ oder die „Selbstorganisation der Teams“. Auch gab Follert einen Einblick in die Vielzahl agiler Methoden und Techniken wie Scrum, Kanban oder Extreme Programming. Für ihren Einsatz komme es jedoch auf das konkrete Projekt an. Ihre Stärken spielen agile Methoden bei komplexen Projekten aus, die durch Unsicherheiten und Unklarheiten im Hinblick auf die Anforderungen und die Technologie gekennzeichnet sind. Nicht für jedes Projekt eignet sich demnach ein agiles Vorgehen. Weiterhin betonte Follert, dass für die Einführung von agilem Management in Organisation ein Change Prozess erforderlich ist. Es wurde deutlich, dass agiles Arbeiten bestimmte Organisations- und Teamstrukturen voraussetzt, ohne die agile Projekte schnell zum Scheitern verurteilt sind. Wichtig seien etwa eine offene Fehlerkultur und die Übertragung von Kontrolle an die Teams.
Den Themenschwerpunkt des ersten Slots „Agile Unternehmensführung und agile Transformation“ eröffnete Sylvie Löffler (Saxonia Systems AG). Sie berichtete von einem außergewöhnlichen Beispiel einer Übertragung agiler Methoden auf den Strategieprozess des Unternehmens. Dies hat den Nutzen, dass strategische Themen besser in das operative Geschäft integriert werden. Hierbei werden im Rahmen von strategischen Initiativen und in so genannten Strategie-Sprints Mitarbeiter zu Mitgestaltern der Organisation. Der Einbezug der Mitarbeiter/innen in die Teams fördere die Transparenz und die Beteiligung an der Entwicklung des Unternehmens. Kommunikation, Offenheit und Wertschätzung sind wichtige Pfeiler für das Funktionieren. Dann brachte Dr. Detlef Gerst (IG Metall) eine gewerkschaftliche Perspektive in die Diskussion ein. So könne das agile Unternehmen durchaus Potentiale für attraktive Arbeitsbedingungen bieten. Diese würden jedoch durch den erweiterten Zugriff auf das Arbeitsvermögen der Beschäftigten (z. B. organisierende Arbeit als Zusatzaufgabe) und unbeabsichtigtes Nebenfolgen im Gestaltungsprozess (z. B. fehlende Begrenzung der Arbeitsintensität und -extensität) eingeschränkt. Gerst sprach sich in diesem Zusammenhang für die Regulierung von Schutzrechten und Konzepte zur Stärkung der Präventionskultur in agilen Unternehmen aus.
Im Themenschwerpunkt des zweiten Slots der Fachtagung „Agiles Projektmanagement und agile Teams“ berichtete Alfred Mönch von der Umsetzung agiler Projekte bei der Saxonia Systems AG. Hierbei thematisierte er insbesondere den vermeintlichen Wiederspruch zwischen agiler und gleichzeitig verteilter Teamarbeit über die Unternehmensstandorte und -kulturen hinweg. Mit ETEO® (Ein Team ein Office) stellte Mönch ein Konzept vor, welches Teams auf Basis geteilter Werte, klarer Prozesse und Rollen und Projekträumen, die per Videostream durchgehend miteinander verbunden sind an unterschiedlichen Standorten die Zusammenarbeit ermöglicht. Neben der technischen Ausstattung der Teams verwies Mönch in besonderer Weise auf die Relevanz gemeinsam geteilter Werte im Team. Hierzu überprüfen die Teams, die nach ETEO® arbeiten, ihren Reifegrad anhand eines Wertekompasses. Auf der Basis dieser Ergebnisse können Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit abgeleitet werden. Eine weitere Facette im Rahmen von Agilität brachte Carsten Schulz (GIS Gesellschaft für InformationsSysteme AG) ein. In seinen Ausführungen legte der den Fokus auf das Thema Lernen bei der Einführung neuer Anwendungen für die Kommunikation und agile Zusammenarbeit. Hierbei stellte er Veränderungen des Corporate Learning und aktuelle Gestaltungsansätze des Workplace Learning vor (z. B. MOOC, Walk-Ins, MOE oder WOL) vor. Diese Konzepte ergänzen Präsenzschulungen durch internetgestützte Formate, welche sich stark an die Bedürfnisse der unterschiedlichen Zielgruppen im Unternehmen anpassen (z. B. der Zeitpunkt, wann gelernt wird). Christian Wille (ver.di) stellte abschließed das Projekt „Gute Agile Projektarbeit in der digitalisierten Welt“ (diGAP) vor und präsentierte erste Befunde. So zeige sich: Je mehr agiles Arbeiten Freiräume, Verfügung über und Einflussnahme auf (zeitliche) Arbeitsressourcen ermöglicht, desto geringer sind die Belastungen der Projektmitarbeiter/innen. Beim von Prof. Dr. Margarete Boos (Universität Göttingen) moderierten Round-Table diskutierten die Referenten des Tages gemeinsam mit dem Publikum intensiv über mögliche Anwendungsszenarien für agile Projektarbeit aber auch über die Grenzen von Agilität. Auch in der abschließenden Diskussion wurde noch einmal die Relevanz der Projektcharakteristik für agiles Arbeiten (Welche Projekte eignen sich überhaupt?) und das Erfordernis eines Gestaltungsrahmens deutlich. „Wir machen jetzt auch agil“ reicht eben nicht aus, die Potentiale dieser Arbeitsweise auszuschöpfen und gleichzeitig nachhaltige und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu realisieren.