Digitalisierung im Schulsystem 2021

Thema: Stand der Digitalisierung im deutschen Schulsystem mit Schwerpunkt auf den Erfahrungen, Erwartungen und Perspektiven der beteiligten Lehrkräfte.

Ziel: Bundesweite Untersuchung der Arbeitssituation von Lehrkräften bei zunehmender Digitalisierung des Arbeitsplatz Schule. Welche arbeitspolitischen Herausforderungen ergeben sich für die Arbeitszeit und die Arbeitsbelastung von Lehrkräften? Wie ist der Stand der Digtalisierung an deutschen Schulen der Sekundarstufe I und II? Identifikation dringender Handlungsbedarfe.

Projektphasen:  Die Feldphase startete für registrierte Lehrkräfte am 4. Januar und endete am 22. Februar 2021. Vorstellung wichtiger erster Befunde am 1. Juni 2021 in einer Infoveranstaltung und hier auf der Seite. Vertiefte Auswertung der Daten, Analyse von Zusammenhängen und Erstellung eines wissenschaftlichen Abschlussberichts bis September 2021.

Die Veröffentlichung der Studienergebnisse erfolgte am Mittwoch, den 29. September 2021 in Berlin.

Materialien:  Zum Download...

Digitalisierung im Schulsystem 2021 – Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, Rahmenbedingungen und Perspektiven von Lehrkräften in Deutschland

Vorstellung erster Befunde des Forschungsprojekts der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen (Sozialwissenschaftliche Fakultät) am 1. Juni 2021

Dr. Frank Mußmann und Dr. Thomas Hardwig von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen (Sozialwissenschaftliche Fakultät) haben am Dienstag, den 1. Juni 2021 im Rahmen einer virtuellen Informationsveranstaltung wichtige erste Befunde des laufenden Forschungsprojekts Digitalisierungsstudie im Schulsystem vorgestellt. Der wissenschaftliche Abschlussbericht mit allen Befunden ist für September 2021 geplant.

Das bundesweite Forschungsprojekt wird gefördert durch die Max-Traeger-Stiftung und die BGAG-Stiftung Walter-Hesselbach und wurde beim Feldzugang von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unterstützt. Während der Erhebungsphase vom 4. Januar 2021 bis 21. Februar 2021 haben 2.750 zuvor registrierte Lehrerinnen und Lehrer mithilfe eines Onlinefragebogens umfassend Auskunft über ihre Arbeitssituation und ihre Arbeitsbelastung im Rahmen der fortlaufenden Digitalisierung gegeben. Da der Erhebungszeitraum mitten in die Corona-Pandemie mit Lockdown, Homeschooling und Wechselunterricht fiel und damit mitten in eine der größten Umstellungen im deutschen Schulsystem, wurden auch lehrkraftspezifische Anforderungen durch die Corona-Pandemie erfasst.

Die Studie wurde mit Lehrkräften an Gymnasien, Gesamtschulen und vergleichbaren Schulformen mit Sekundarstufe I/II aus allen Bundesländern durchgeführt (Lehrkräfte insgesamt aus 233 bzw. 4% der Schulen). Die Qualität des Feldzugangs, aber auch die erreichte Beteiligungsquote von 1% der Lehrkräfte in Deutschland sowie die strukturelle Verteilung der Stichprobe ermöglichen repräsentative Befunde auf Bundesebene.

Ziel der Studie ist es, die Herausforderungen der Digitalisierung im Schulsystem aus Sicht der Lehrkräfte in Deutschland zu untersuchen. Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf ihre Arbeitsbedingungen? Was sind ihre Beanspruchungen, was ihre Erfahrungen, was ihre Erwartungen? Welche Chancen und Risiken kommen auf Lehrkräfte zu durch digitale Arbeitsformen, digitale Lehr-Lern-Modelle und kollaborative Plattformen? Welche arbeitspolitischen Herausforderungen bringt die zunehmende Digitalisierung des Arbeitsplatz Schule für die Arbeitszeit und die Arbeitsbelastung von Lehrkräften mit sich? Welche Empfehlungen, welche Entwicklungs- und Gestaltungsbedarfe gibt es?

Digitalisierungsschub im deutschen Schulwesen – Neue Herausforderungen belasten Lehrkräfte – Digitalisierungsschub stellt die Schulorganisation vor große Herausforderungen

Die Corona-Pandemie hat wie in einem großen „Feldversuch“ zu einem Digitalisierungsschub im deutschen Schulwesen geführt. Wie haben Schulen und Lehrkräfte auf diese Herausforderung reagiert? Wie verändert die Digitalisierung die Arbeitsbedingungen an Schulen? Die Studienergebnisse zeigen, dass durch die Digitalisierung neue, zusätzliche Anforderungen und aufgrund der Pandemie auch temporäre Überforderungen durch notwendige Improvisationen und kurzfristige Zusatzanforderungen hinzugekommen sind. Das Zusammenspiel von Corona und Digitalisierung verstärkt die angespannte Arbeitssituation der Lehrkräfte und die schon zuvor teils hohen Belastungen. Ein erhöhter Aufwand entsteht beispielsweise durch Homeschooling/Fernunterricht, Hybrid- und Wechselunterricht oder durch das Überführen analoger in digitale Materialen etc.

Mit bemerkenswerter Dynamik haben Lehrkräfte und Schulen im Kontext der Pandemie pragmatische Lösungen zum Einsatz digitaler Medien, Techniken sowie digitaler Lehr- und Lernkonzepte entwickelt und umgesetzt. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass digitale Medien und Techniken inzwischen mehrheitlich zum normalen Unterrichtsgeschehen an deutschen Schulen gehören. Die Ergebnisse zeigen jedoch auch, dass die Herausforderungen unterschiedlich gut von den Schulorganisationen bewältigt werden. Zum Teil gibt es Unterschiede zwischen den Bundesländern. Auch nach einem Jahr Pandemie klaffen im Januar / Februar 2021 immer noch eklatante Lücken in der digitalen Infrastruktur der Schulen. Dies zeigt sich beispielsweise an teilweise fehlendem WLAN für Lehrkräfte, noch mehr bei fehlenden Zugängen für Schülerinnen und Schülern oder bei nicht verfügbarer Schul- und/oder Bildungscloud. Ein Teil der untersuchten Schulen ist inzwischen gut ausgestattet, aber an anderen gibt es noch immer keine digitalen Bildungskonzepte und teils deutliche Defizite bei der Infrastruktur für das digitale Lehren und Lernen. Dies führt zu Hindernissen beim Einsatz digitaler Techniken im Unterricht wie technische Ausfälle und Unterbrechungen sowie zu unausgereiften Lehrmaterialien und -konzepten.

Vergleich digitaler Strategien und Infrastrukturen zeigt deutliche Kluft an deutschen Schulen und Risiken für die Chancengleichheit

Im internationalen und europäischen Vergleich hinkten deutsche Schulen 2013 und 2018 deutlich hinterher. Inzwischen hat sich die Digitalisierungsdynamik auch in Deutschland spürbar verstärkt. Die Vergleichskennzahlen zeigen erhöhte Nutzungsintensitäten und Verfügbarkeiten digitaler Medien und Techniken in deutschen Schulen.

Beim nationalen Vergleich der digitalen Strategien und Infrastrukturen an Schulen in Deutschland offenbaren die Studienergebnisse eine deutliche Kluft zwischen vier Schultypen, den Digitalen Vorreiter-Schulen, Digital orientierten Schulen, Durchschnitt-Schulen und Nachzügler-Schulen. Während die Lehrkräfte an Schulen mit höherer digitaler Reife die Potenziale ihrer Schülerinnen und Schüler besser fördern können, ist die Arbeitssituation an digital unterdurchschnittlichen Schulen stärker durch höhere Belastungen für Lehrkräfte, fehlende digitale Lernkonzepte und größere Hindernisse beim Technikeinsatz geprägt. Wenn Schulen aber den Anschluss an die Digitalisierung verlieren, wächst auch die digitale Kluft bei den Schülerinnen und Schülern.

Nach dem eher pragmatischen Digitalisierungsschub unter der Pandemie werden der Austausch und das ambitionierte Ringen aller Akteure um die besten digitalen Lösungen immer wichtiger: mittel und langfristig geht es um die bedarfsgerechte, sozial verantwortliche und integrierte Gestaltung der Digitalisierung an deutschen Schulen. Dabei ist zu beachten:

  1. Die Überforderung von Lehrkräften darf die Zukunftsgestaltung nicht gefährden. Die Corona-Phase hat einmal mehr seit langem bekannte Trends offengelegt: Die Berufsgruppe zeichnet sich durch erhöhte Belastungen und zu lange Arbeitszeiten aus. Schon vor der Pandemie war ‚Arbeiten am Limit‘ verbreitet. Dies gefährdet die Gesundheit von Lehrkräften und macht den Beruf unattraktiv – Schwierigkeiten bei der Lehrkräfteversorgung sind die Folge. Die Pandemie zeigt, dass die Bewältigung von zusätzlichen Anforderungen viel Kraft kostet. Als Nachwirkung ist mit Erschöpfungserscheinungen zu rechnen, welche die Spielräume für die Weiterentwicklung von Schule zusätzlich verengen.
  2. Weil sich unsere Gesellschaft in der digitalen Transformation befindet, müssen alle Schülerinnen und Schüler an ihren Schulen digitale Kompetenzen erwerben, um gleichberechtigt am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Um dies zu gestalten und angepasste Konzepte für das digitale Lehren und Lernen zu realisieren, müssen Schulen Strategien zur Entwicklung von digitalen Lernkonzepten und zum Aufbau digitaler Infrastrukturen entwickeln.
  3. Lehrkräfte benötigen Spielräume, um das digital unterstützte Lehren und Lernen zu gestalten: Die Umsetzung der Digitalisierung stellt alle Lehrkräfte vor die Herausforderung, ihr persönliches Unterrichten weiterzuentwickeln und sich am Schulentwicklungsprozess zu beteiligen, wie digitale Medien und Techniken pädagogisch sinnvoll zu integrieren sind. Die digitalen Kompetenzen von Lehrkräften sind jedoch unterschiedlich ausgeprägt und ihre beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten unterscheiden sich stark sowohl zwischen den Schulen, als auch zwischen den Bundesländern (Fort- und Weiterbildung).
  4. In digitalen Nachzüglerschulen häufen sich die Probleme der Digitalisierung: Der überraschende Befund, dass in Schulen mit einer entwickelten digitalen Strategie und Infrastruktur nicht nur viel weniger technische Probleme auftreten und das digitale Lernen stärker ausgeprägt ist, sondern die Lehrkräfte auch ihre berufliche Situation, die Entwicklung ihrer digitalen Kompetenzen, ihre Arbeitssituation und Arbeitszufriedenheit besser bewerten, zeigt: Lehrkräfte sind motiviert, passende moderne Lehr- und Lernformen mit digitalen Medien und Techniken umzusetzen. Sie benötigen jedoch die entsprechenden Rahmenbedingungen und Handlungsmöglichkeiten.

Die digitale Kluft an Deutschlands Schulen gefährdet die Kompetenzentwicklung und die gleichberechtigte Teilhabe.

In vielen Schulen erwerben Schülerinnen und Schüler nicht die digitalen Kompetenzen, die notwendig sind. Eltern erfahren nicht die Unterstützung, die möglich ist. Und Lehrkräfte erleben eine Benachteiligung in der Ausübung ihres Berufes, weil sie mit viel mehr Herausforderungen, Hindernissen und am Ende auch Belastungen konfrontiert sind, als in Schulen mit explizit digitaler Orientierung.

Es sind daher nachdrücklich Maßnahmen zur Überwindung der digitalen Kluft anzuraten. Schulen müssen in ihrer Entwicklung unterstützt werden. Schulleitungen müssen ermuntert werden, sich auf partizipative Entwicklungsprozesse einzulassen. Digitale Infrastrukturen müssen forciert und pädagogisch angemessen ausgebaut werden.  

Abschlussbericht

Die Veröffentlichung der Studienergebnisse und die Berichterstattung finden Sie hier.

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